Bis Politik in Gesetzesform gegossen wird, hat sie einen langen Weg vor sich. Kurz gefasst beginnt dieser mit den Parteistrukturen, die zu Parteiprogrammen führen, welche in Koalitionsverhandlungen vermischt werden, von Ministerien ausformuliert und erst dann dem Bundestag als Gesetzesentwürfe vorgelegt werden. Um erfolgreich die eigene Politik durchsetzen zu können ist folglich die Kompromissbereitschaft eine der politischen Königsdisziplinen. Sie wird besonders auf die Probe gestellt bei dem Streit zwischen Pragmatikern vs. Dogmatikern, zwischen der Mitte und den etremeren Rändern, zwischen Reformisten und Revolutionären. Dies ist ein Konflikt, den seit Bestehen des deutschen Parteiensystems jede Partei in einem ständigen Prozess ausficht. Jedoch gelingt es unseren Parteien unterschiedlich gut, diese Konflikte unter Kontrolle zu bringen.
Die Union wird pluralistisch
Ursache für Streit ist oft das Bestreben, ein größeres Meinungsspektrum in der Bevölkerung abzudecken. Dieser Prozess lässt sich momentan sehr gut an der CDU beobachten. Angela Merkel sagt, „ich möchte Kanzlerin aller Deutschen sein“ und die Partei war in der letzten Regierung gezwungen, Kompromisse mit dem Koalitionspartner SPD einzugehen – dem wertkonservativen Flügel der CDU geht das zu weit. Die Bevölkerung und die Parteibasis differenziert hierbei kaum die Politik der Regierung nach der Frage welche Bestandteile der beschlossenen Gesetze von welcher Partei stammen und wie dieser Kompromiss entstanden ist. Im Gegenteil, gerade in der großen Koalition hat die Regierungspolitik die Wahrnehmung unserer zwei Volksparteien in der Öffentlichkeit nachhaltig zur politischen Mitte hin beeinflusst. Als Beobachter vor dem Fernseher oder als Zeitungsleser sollte man sich immer bewusst machen, dass das, was von innerparteilichen Auseinandersetzungen an die Öffentlichkeit gerät, nur die Spitze eines Eisberges ist. Erst wenn sich Streitpartner unterdrückt, überhört und nicht mehr ernstgenommen fühlen, wenn sie sich in anderen Worten ärgern und nicht mehr anders zu helfen wissen, brechen sie das Credo, mit Streitereien nicht an die Öffentlichkeit zu gehen. Folglich ist es durchaus beachtlich, wenn verschiedene hochrangige CDU-Politiker deutschlandweit unterschiedliche Stellungnahmen zu den verschiedensten Themen abgeben, von Steuersenkungen bis Atomenergie.
Streitkultur mit Tradition
In der SPD hat das Regieren in der großen Koalition zusammen mit Nachwirkungen aus der Zeit der rot-grünen Regierung zu einem Aufflammen der Flügelkämpfe geführt, und sogar noch nach der Abspaltung der WASG, welche sich später mit der PDS zu „die Linke“ zusammengeschlossen hat, dauerten diese noch an. Erst jetzt, einige Monate nach der Wahlniederlage der SPD, konnten die innerparteilichen Auseinandersetzungen durch die relative Entmachtung von Frank-Walter Steinmeier, den neuen Vorsitzenden Sigmar Gabriel, die neue Generalsekretärin Andrea Nahles und durch einige Beschlüsse, wie die Vermögenssteuer und Nachbesserungen an Hartz IV, entschärft werden. Schon 1917 schieden sich die Geister unvereinbar an der Frage, ob sich Deutschland am ersten Weltkrieg beteiligen soll, und die SPD war gespalten in USPD und MSPD.
Bruchlandung gleich nach dem Start
Warum “Kompromissbereitschaft” eine so wichtige Kompetenz in Parteien ist, zeigt momentan am schönsten die Linkspartei. Die Geschichte der Linkspartei war seit ihrer Gründung im April 2007 eine reine Erfolgsstory, es ging nur aufwärts, ein Plenum nach dem anderen wurde erobert und die Umfragen stiegen, die SPD wurde zermalmt, die Debatten in der Öffentlichkeit aufgemischt, CDU und FDP bekamen ein frisch gebackenes Feindbild. Erfolg und Euphorie schweißen zusammen. Bis bei dem Parteitag Juni 09 ein Wahlprogramm formuliert werden musste, das sich aus mehr als nur groben Eckpunkten zusammensetzt, und schon bestand die Linke aus West-Fundies und Ost-Realos, die sich unversöhnlich um jede Zahl und jedes Wort gestritten haben. Anfang diesen Jahres wurde dieser Konflikt auch noch durch Oskar Lafontaine im Westen und Dietmar Bartsch im Osten personifiziert. Die Öffentlichkeit sprach schon vom Zerbrechen der Linkspartei, dabei musste sich diese noch nicht einmal in einer Regierung mit Koalitionspartner und ökonomischen Realitäten auseinandersetzen. Politische Extreme sind von dogmatischen Denkweisen geprägt und von dem Widerwillen, seine Ideale aufzugeben, gekennzeichnet. Links von der Linken sind deshalb auch alle untereinander zerstritten: Die Anarchosyndikalisten streiten sich mit den Anarchokommunisten, ob nach der Weltrevolution alle Autos die gleiche Farbe haben sollen oder nicht und der DGB ist sowieso der Inbegriff des Kapitalismus – fordert er doch nicht einmal jegliche Obrigkeit durch Arbeiter-Räte zu ersetzen. Veränderungen zu fordern ohne kompromissbereit zu sein, ist bewusst ineffizient und deshalb Heuchelei.
Kurz vor der Pubertät
Über die aufkommende Gender-Debatte bei den Piraten werden sich etablierte Parteien sicher denken: Süß! Willkommen im politischen Alltag. Doch in Wirklichkeit sind sie davon noch weit entfernt. Die Piratenpartei stand noch nicht mal vor der Frage: “Lassen wir wichtige Bestandteile unseres Programms in Koalitionsverhandlungen zu heißer Luft verpuffen, damit wir in kleinen Schritten überhaupt etwas bewegen können, oder rücken wir keinen Millimeter davon ab, um unsere Ideale nicht zu verraten?” Die Piratenpartei wird vielleicht irgendwann in einem Parlament sitzen und dort plötzlich an Abstimmungen zu der vollen politischen Themenbreite teilnehmen müssen – Themen, mit deren fundierter Auseinandersetzung etablierte Parteien schon Jahrzehnte beschäftigt sind. Sie werden lernen müssen, dass es für die meisten Fragen leider doch keine einfachen Antworten gibt, werden gezwungen sein, ins Detail zu gehen – und schon tun sich Differenzen auf. Erst, wenn es so weit ist und die Piraten beweisen können, dass sie besser als andere Parteien mit diesen Differenzen umgehen können, wenn sie es schaffen sollten Persönliches, Ideologisches und finanzielle Einzelinteressen so weit zurück zu drängen, dass sie nicht daran zerbrechen, dann bin ich gewillt, die Piratenpartei als vollwertigen politischen Akteur zu akzeptieren.
Ersteinmal erwachsen werden Jungs (und Mädchen)!
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Die Piratenpartei stand noch nicht mal vor der Frage: “Lassen wir wichtige Bestandteile unseres Programms in Koalitionsverhandlungen zu heißer Luft verpuffen, damit wir in kleinen Schritten überhaupt etwas bewegen können, oder rücken wir keinen Millimeter davon ab, um unsere Ideale nicht zu verraten?”"
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dann mag das vielleicht stimmen. Dass die Piraten sich darum jedoch keine Gedanken gemacht haben, stimmt nicht. Auf dem letzten Bundesparteitag wurde bspw. ein Konzept zur Gliederung programmatischer Inhalte verabschiedet. Darin enthalten ist die Unterscheidung zwischen Kernprogramm und erweitertem Programm.
Es ist also durchaus so, dass die Piraten hier verhandelbare Inhalte von nicht zu verhandelnden Kernpositionen unterscheiden.
http://wiki.piratenpartei.de/Bundesparteitag_2009.1/Protokoll#Vorstellung_des_Konzepts_zur_Gliederung_programmatischer_Inhalte_.281._Teil.29
http://wiki.piratenpartei.de/Datei:Programmkonzeption.pdf
http://wiki.piratenpartei.de/Benutzer:Robi.kraus/Konzept-Programmatik